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Overthinking – Wenn Gedanken zur Endlosschleife werden

Kennst du das? Du liegst im Bett, willst schlafen – und statt zur Ruhe zu kommen, denkt dein Kopf an alles. An das Gespräch von heute Morgen, an die E-Mail oder Nachricht in deinem Postfach, die du noch nicht beantwortet hast oder an eine Antwort, die du vielleicht falsch formuliert hast. Oder hast du schon einmal stundenlang über eine einfache Entscheidung gegrübelt oder einen kleinen Kommentar ganzen Tag analysiert? Das ist ganz typisches Overthinking. In diesem Artikel klären wir, was genau unter dem Thema „Overthinking“ zu verstehen ist und was die möglichen Ursachen und Symptome des Problems sind. Schließlich zeigen wir auf, welche Schwerpunkte bei Overthinking infrage kommen, und wie wir präventiv dagegen vorgehen können.

Overthinking – Wenn Gedanken zur Endlosschleife werden

Definition – Was ist Overthinking?

Unter dem Ausdruck „Overthinking“, auf Deutsch „Zerdenken“ oder „Gedankenkarussell“, versteht man, dass wir eine Situation, Entscheidung oder Probleme immer wieder durchgehen – ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Es äußert sich in zwei Formen: als Rumination (Grübeln über Vergangenes) und als Worrying (Sorgen um Zukünftiges) (Ehring & Watkins, 2008).  

Denken an sich ist keine schlechte Sache. Tatsächlich ist es nützlich! Aber wenn dich das Denken nicht mehr weiterbringt, sondern immer tiefer in die Ungewissheit eindringt, sprechen wir nicht mehr von Planung oder Analyse, sondern von Overthinking. Je länger du bei einem bestimmten Gedanken grübelst, desto schwieriger ist es, ihn loszuwerden, denn dein Gehirn hat das Gefühl: „Wenn ich noch ein bisschen darüber nachdenke, werde ich sicher die perfekte Lösung finden“ (Nolen-Hoeksema, 2000).

Doch übermäßiges Nachdenken führt nicht zu einer perfekten Lösung: Es kann negative Auswirkungen auf mentale Gesundheit haben und zu einer Gedankenschleife führen. Menschen mit Angststörungen neigen möglicherweise eher zum Grübeln, doch ein einziges Erlebnis kann bei jedem Menschen einen schädlichen Prozess auslösen, aus dem man sich nur schwer befreien kann.

Eine Untersuchung von Nolen-Hoeksema (2003) ergab, dass 73 % der 25- bis 35-Jährigen und 52 % der 45- bis 55-Jährigen regelmäßig zu viel nachdenken. Interessanterweise zeigte die Studie auch geschlechtsspezifische Unterschiede: Rund 57 % der Frauen und 43 % der Männer konnten als Overthinker kategorisiert werden (Nolen-Hoeksema, 2003).

Eine Frau denkt im Bett

Ursachen und Symptome

Sehen wir uns an, welche die wichtigsten Anzeichen von Overthinking sind.

  • Wiederkehrende Gedanken: Also wenn man viel über die gleichen belastenden Gedanken grübelt und wieder immer zum Anfang zurückkehrt, ohne eine Lösung zu finden.
  • Ängste: Overthinker-Menschen machen sich oft Sorgen um Dinge, die sie nicht kontrollieren oder ändern können.
  • Negative Gedanken: Man erinnert sich ständig an die eigenen Fehler, wenn man an Gespräche zurückdenkt, die man mit Menschen geführt hat, fragt sich, was man hätte sagen oder nicht sagen sollen.
  • Unangenehmen Situationen und Gespräche im Kopf immer wieder erleben.
  • „Was wäre, wenn …“ Fragen
  • Kommunikation: Menschen können viel Zeit damit verbringen, über die verborgenen Bedeutungen nachzudenken, die die Antworten und Sätze anderer Personen enthalten hätten können. Wenn jemand etwas sagt oder tut, was einem nicht gefällt, neigen sie dazu, darüber zu viel nachzudenken.
  • Unentschlossenheit: Wenn man viele Fragen stellt, jedoch keine Entscheidungen trifft und keine Maßnahmen ergreift.
  • Schwierigkeiten bei der Problemlösung: Man stellt sich alle möglichen Folgen einer Stresssituation vor, entwickelt aber keine effektiven Lösungen.
Ein Mann stellt sich viele Fragen
  • Was sind die Folgen?
  • Overthinking kann sich auf viele Lebensbereiche negativ auswirken. Studien zeigen, dass wiederholtes negatives Denken stark mit Angststörungen, Depression und vermindertem Wohlbefinden verbunden ist (Spinhoven et al., 2018).
  • Außerdem kann Overthinking Folgendes verursachen:
  • Ermüdung
  • Kopfschmerzen
  • Appetitlosigkeit
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Schlafprobleme
Ein Mann hat Kopfschmerzen
  • Aber warum neigen wir zum Overthinking?
  • Die Ursachen sind individuell, doch es gibt typische Auslöser:
  • Ängste und Unsicherheit, etwas falsch zu machen
  • Perfektionismus: Der Wunsch, die beste Entscheidung zu treffen, lässt uns manchmal gar keine treffen
  • Geringes Selbstwertgefühl: Wer sich selbst nicht vertraut, versucht Kontrolle durch Denken herzustellen
  • Vergangene negative Erfahrungen: Kritik oder Fehlentscheidungen
  • Kontrollzwang: sich immer wieder über bestimmte Dinge absichern müssen, weil sonst Katastrophen passieren
  • Emotionale Belastung: Menschen, die unter Angst oder depressiven Verstimmungen leiden, sind besonders anfällig für Overthinking (McLaughlin & Nolen-Hoeksema, 2011)
  • Psychologin Susan Nolen-Hoeksema, beschreibt es als selbstverstärkenden Prozess: Je mehr die Menschen grübeln, desto schlechter fühlen sie sich im Alltag – was wiederum zu noch mehr Grübeln führt (Nolen-Hoeksema, 2000)
Eine Frau denkt im Bett

Arten von Overthinking

Rumination

Bezeichnet das wiederholte, unkontrollierte Nachdenken über belastende Gedanken, Gefühle oder vergangene Ereignisse – ohne zu einer Lösung zu kommen.

Entscheidungsbezogenes Overthinking (Decision Paralysis)

Der Begriff entsteht bei einer Entscheidungsvermeidung, auch bekannt als Analysis Paralysis (Schwartz, B., 2004).

Soziales Overthinking

Social Rumination bezieht sich auf übermäßiges Nachdenken darüber, wie man auf andere gewirkt hat oder was andere über einen denken könnten. Diese Art ist häufig bei sozialer Angst zu beobachten (Kocovski, N. L., Endler, N. S., 2000).

Katastrophendenken

Manche Personen gehen automatisch vom schlimmstmöglichen Ausgang einer Situation aus – oft ohne realistische Grundlage.

Ein Mann hat negative Gedanken

Was können wir gegen Overthinking tun?

Übermäßiges Nachdenken entwickelt sich nicht über Nacht und verschwindet daher auch nicht über Nacht. Das heißt aber nicht, dass es für immer ein Teil deines Lebens bleiben muss.  

Hier findest du ein paar Tipps und Techniken, damit du dieses Gedankenkarussell stoppen kannst:

Tipp 1: Den Blickwinkel wechseln

Sich einen Schritt zurücknehmen und das große Ganze betrachten, kann helfen, eine andere Perspektive einzunehmen.

Tipp 2: Konstruktive Reflexion

Zielgerichtetes Nachdenken zur Verarbeitung oder Lösung eines Problems mit Fokussierung auf Lerneffekte, persönliche Entwicklung oder Entscheidungsfindung führt zu rascheren Entscheidungen.

Tipp 3: Schreiben statt denken

Journaling verbessert die emotionale Verarbeitung und stärkt die Selbstreflexion (Baikie & Wilhelm, 2005).

Tipp 4: Achtsamkeit im Alltag trainieren

Achtsamkeit bedeutet, den gegenwärtigen Moment bewusst wahrzunehmen – ohne Bewertung. Achtsamkeitsbasierte Programme wie MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction) haben sich in zahlreichen Studien als wirksam erwiesen, um Grübelneigung zu reduzieren (Gu et al., 2015).

Tipp 5: Gedanken bewusst unterbrechen

Techniken aus der Metakognitiven Therapie (MCT) zeigen, dass es hilfreich ist, nicht den Inhalt der Gedanken zu analysieren, sondern die Art, wie wir über unsere Gedanken denken. Ziel ist es, Gedanken als „mentale Ereignisse“ zu erkennen, statt sie für Wahrheiten zu halten (Wells, 2009).

Tipp 6: Kognitive Verhaltenstherapie (CBT)

In der Psychologie hat sich die kognitive Verhaltenstherapie als besonders wirksam gegen Overthinking erwiesen. CBT hilft, automatische negative Gedanken zu erkennen und durch realistischere, hilfreichere Überzeugungen zu ersetzen (Hofmann, Asnaani, Vonk, Sawyer & Fang, 2012).

Eine Frau schreibt ihres Tagebuch

Fazit

Overthinking ist ein weit verbreitetes Phänomen in der Psychologie – oft getrieben von Perfektionismus, Unsicherheit oder dem Wunsch nach Kontrolle. Doch Grübeln führt selten zu Lösungen, sondern meist zu Hindernissen, Entscheidungsblockaden und Selbstzweifeln. Die Problemlösung liegt nicht darin, alle Gedanken loszuwerden, sondern darin, anders mit ihnen umzugehen. Achtsamkeit, bewusste Reflexion und klare mentale Grenzen helfen dir dabei, deine Gedanken besser einzuordnen, damit das Gedankenkarussell stoppt und die negativen Auswirkungen vermieden werden – und damit die mentale Gesundheit stärkt. Entscheidend ist, den Unterschied zwischen hilfreicher Reflexion und destruktivem Grübeln zu erkennen – und Schritt für Schritt einen achtsamen Umgang mit dir selbst und deinem Denken zu entwickeln.

Quellen

Baikie, K. A., & Wilhelm, K. (2005). Emotional and physical health benefits of expressive writing. Advances in Psychiatric Treatment, 11(5), 338–346. https://doi.org/10.1192/apt.11.5.338

Ehring, T., & Watkins, E. R. (2008). Repetitive negative thinking as a transdiagnostic process. International Journal of Cognitive Therapy, 1(3), 192–205. https://doi.org/10.1521/ijct.2008.1.3.192

Gu, J., Strauss, C., Bond, R., & Cavanagh, K. (2015). How do mindfulness-based cognitive therapy and mindfulness-based stress reduction improve mental health? A systematic review and meta-analysis. Clinical Psychology Review, 37, 1–12.

Hofmann, S. G., Asnaani, A., Vonk, I. J., Sawyer, A. T., & Fang, A. (2012). The efficacy of cognitive behavioral therapy: A review of meta-analyses. Cognitive Therapy and Research, 36(5), 427–440. https://doi.org/10.1007/s10608-012-9476-1

Khoury, B., Sharma, M., Rush, S. E., & Fournier, C. (2015). Mindfulness-based stress reduction for healthy individuals: A meta-analysis. Journal of Psychosomatic Research, 78(6), 519–528.

McLaughlin, K. A., & Nolen-Hoeksema, S. (2011). Rumination as a transdiagnostic factor in depression and anxiety. Behaviour Research and Therapy, 49(3), 186–193.

Nolen-Hoeksema, S. (2000). The role of rumination in depressive disorders and mixed anxiety/depressive symptoms. Journal of abnormal psychology, 109(3), 504.

Spinhoven, P., van Hemert, A. M., & Penninx, B. W. (2018). Repetitive negative thinking as a predictor of depression and anxiety: A longitudinal cohort study. Journal of affective disorders, 241, 216-225.

Wells, A. (2009). Metacognitive therapy for anxiety and depression. Guilford Press.

Zeit für Veränderung

Reißen wir die Mauern des Schweigens gemeinsam ein und schaffen eine inklusive Gesellschaft, in der psychische und physische Erkrankungen gleichermaßen akzeptiert und unterstützt werden.

Mag. Raphaela Vallon-Sattler
C.Mikes