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Parasoziale Beziehungen im Internet
Viele Menschen kennen das Phänomen: Man folgt einer Person auf Social Media, sieht regelmäßig deren Storys und Videos, und mit der Zeit entsteht das Gefühl, diese Person persönlich zu kennen. Vielleicht stellt sich sogar der Eindruck einer persönlichen Verbindung oder eines Austauschs ein – obwohl in der Realität nie ein direkter Kontakt stattgefunden hat. Genau darum geht es bei parasozialen Beziehungen im Internet.

Was ist eine parasoziale Online-Beziehung?
Der Begriff „parasoziale Beziehung“ wurde ursprünglich von den Psychologen Donald Horton und Richard Wohl (1956) geprägt und beschreibt einseitige Beziehungen, die Menschen zu Medienfiguren oder Prominenten aufbauen. Im heutigen Zeitalter sozialer Medien erhält dieses Konzept eine völlig neue Bedeutung. Influencer:innen und Creator:innen teilen online nicht nur professionelle Inhalte, sondern auch persönliche Einblicke in ihren Alltag. Dadurch entsteht oft eine empfundene emotionale Nähe, obwohl diese Beziehung faktisch einseitig bleibt.
Typisch für parasoziale Beziehungen ist, dass sie durch häufig wiederholte und scheinbar persönliche Interaktionen entstehen. Wenn Influencer:innen täglich Fotos posten, Updates geben und private Details preisgeben, entsteht eine Atmosphäre von Intimität und Vertrautheit. Besonders Plattformen wie Instagram verstärken dieses Empfinden durch Formate wie Stories oder Live-Streams, die als authentische und persönliche Kommunikation wahrgenommen werden. Dies trägt dazu bei, dass viele Nutzer:innen eine Illusion von Freundschaft oder Nähe entwickeln (Dibble et al., 2016).
Es ist wichtig zu verstehen, dass parasoziale Beziehungen ein verbreitetes und grundsätzlich normales Phänomen sind. Die meisten Menschen erleben im Laufe ihres Lebens solche Beziehungen – etwa zu Schauspieler:innen, Musiker:innen oder eben Influencer:innen. Problematisch können diese Beziehungen allerdings dann werden, wenn sie das Wohlbefinden und die realen sozialen Kontakte negativ beeinflussen. Daher lohnt es sich, genauer zu untersuchen, wie diese Beziehungen entstehen und welche psychologischen Mechanismen dahinterstehen.

Wie entstehen parasoziale Beziehungen im Internet?
Damit es zu dieser empfundenen Nähe zu Personen im Internet kommen kann, bedarf es einer Regelmäßigkeit und Kontinuität der veröffentlichten Inhalte. Diese Regelmäßigkeit ermöglicht es, dass Influencer:innen und deren Inhalte allmählich in den Alltag der Follower:innen integriert werden. Über eine lange Zeit hinweg entwickelt sich daraus eine Art gemeinsame Geschichte, die die emotionale Bindung zwischen Influencer:innen und ihren Follower:innen verstärkt (Hartmann, 2017).
Neben der Kontinuität der Interaktionen trägt vor allem die wahrgenommene Sympathie der Influencer:innen entscheidend zur Entstehung parasozialer Beziehungen bei. Dabei ist Sympathie oft sogar wichtiger als die äußere Attraktivität einer Person (Giles, 2002). Menschen fühlen sich besonders dann parasozial verbunden, wenn sie Gemeinsamkeiten mit den Influencer:innen erkennen, etwa ähnliche Interessen, Werte oder Lebensumstände. Dieses Gefühl der Ähnlichkeit erhöht die Identifikation und stärkt die empfundene Bindung (Rubin & McHugh, 1987).

Welche drei Arten parasozialer Beziehungen gibt es?
In der Medienpsychologie wird zwischen drei unterschiedlichen Typen parasozialer Beziehungen unterschieden. Diese Einteilung basiert auf der Intensität und emotionalen Tiefe der empfundenen Bindung zwischen Rezipient:innen und Medienpersonen:
1. Parasoziale Interaktion (kurzfristige Verbindung)
Die parasoziale Interaktion beschreibt eine kurzzeitige Verbindung, die während der Nutzung von Medien entsteht. Diese Bindung dauert nur für die Dauer der Rezeption an und endet in der Regel, sobald der mediale Kontakt beendet wird. Parasoziale Interaktionen entstehen beispielsweise beim Ansehen einer Instagram-Story, eines YouTube-Videos oder beim Lesen eines Social-Media-Posts. Während dieses Moments fühlen sich Nutzer:innen emotional involviert oder haben den Eindruck einer direkten Kommunikation, ohne dass eine tiefere Bindung entsteht (Hartmann, 2017).
2. Parasoziale Beziehung (langfristige Bindung)
Parasoziale Beziehungen gehen über die kurzzeitigen Interaktionen hinaus und entstehen durch regelmäßige, sich wiederholende Begegnungen mit Medienfiguren. Durch diese langfristige Vertrautheit entsteht ein Gefühl emotionaler Nähe und Verbundenheit. Nutzer:innen haben dabei oft den Eindruck, die Medienfigur gut zu kennen und entwickeln eine Art von emotionaler Bindung, ähnlich einer Freundschaft oder Bekanntschaft. Diese Bindung basiert auf gefühlter Sympathie, Vertrautheit und einer vermeintlich geteilten Geschichte (Horton & Wohl, 1956; Giles, 2002) und kommt besonders häufig bei den Social Media Plattformen im Internet vor.
3. Parasoziale Bindung oder Attachment (tiefe emotionale Bindung)
Die intensivste Form parasozialer Beziehungen ist die sogenannte parasoziale Bindung (parasocial attachment). Dabei entsteht eine tiefe emotionale Verbundenheit mit einer Medienperson, die oft eine wichtige Rolle im Leben der betroffenen Personen einnimmt. Diese Bindung kann über längere Zeiträume bestehen und kann das eigene Verhalten, Einstellungen und das emotionale Wohlbefinden deutlich beeinflussen. Menschen, die eine starke parasoziale Bindung entwickeln, betrachten die Medienfigur oft als eine emotionale Ressource, ähnlich engen Freundschaften oder Beziehungen im realen Leben. Ein plötzlicher Verlust dieser Beziehung – etwa, wenn die Medienfigur plötzlich von der Bildfläche verschwindet – kann mit intensiven emotionalen Reaktionen einhergehen (Stever, 2011; Cohen, 2003).

Das Phänomen kann unterschiedlich intensive Ausprägungen annehmen. Das Spektrum reicht von flüchtigen, kurzfristigen emotionalen Erlebnissen bis hin zu tiefgreifenden, langfristigen Bindungen mit nachhaltigen emotionalen Auswirkungen.
Wie hat das Internet parasoziale Beziehungen beeinflusst?
Das Aufkommen des Internets, insbesondere der sozialen Medien, hat nicht reziproke Beziehungen grundlegend verändert und verstärkt. Während parasoziale Beziehungen ursprünglich hauptsächlich über Fernsehen, Filme und Radio entstanden, bieten Plattformen wie Instagram, YouTube, TikTok oder Twitch heute völlig neue Möglichkeiten der Interaktion. Diese digitalen Kanäle erhöhen sowohl die Häufigkeit als auch die gefühlte Intensität der einseitig geführten Beziehungen erheblich (Hartmann, 2017).
Permanente Verfügbarkeit und Nähe
Ein zentraler Faktor für diese Veränderung ist die ständige Verfügbarkeit von Inhalten und die Möglichkeit, unmittelbar mit den veröffentlichten Medieninhalten zu interagieren. Social Media Plattformen schaffen dabei eine virtuelle Nähe zwischen Medienfiguren und Nutzer:innen. Influencer:innen oder Content-Creator:innen teilen alltägliche und oft private Momente, wodurch Nutzer:innen ein Gefühl von Vertrautheit entwickeln, das zuvor in klassischen Medien nicht in diesem Ausmaß möglich war (Chung & Cho, 2017).
Authentizität und Intimität als neue Norm
Plattformen wie Instagram ermöglichen durch Formate wie Storys oder Live-Übertragungen spontane und vermeintlich direkte Kommunikation. Diese erzeugt bei Nutzer:innen eine Illusion von Nähe und emotionaler Verbundenheit, die weit über die klassische mediale Distanz hinausgeht (Dibble, Hartmann & Rosaen, 2016). Das Empfinden, unmittelbar am Leben anderer teilzunehmen, hat die emotionale Bindung an digitale Persönlichkeiten deutlich verstärkt.
Interaktivität und scheinbare Gegenseitigkeit
Im Unterschied zu traditionellen Medien erlaubt das Internet zumindest theoretisch eine zweiseitige Interaktion. Nutzer:innen können direkt kommentieren, Fragen stellen oder Likes vergeben, worauf Influencer:innen teilweise öffentlich reagieren. Obwohl diese Interaktionen meist dennoch einseitig bleiben, suggeriert die direkte Rückmeldung den Nutzer:innen eine Form von gegenseitigem Austausch. Dadurch intensiviert sich die parasoziale Beziehung weiter (Labrecque, 2014).
Fragmentierung und Individualisierung von Beziehungen
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Fragmentierung der Medienlandschaft. Das Internet ermöglicht eine nahezu unbegrenzte Auswahl an Persönlichkeiten und Themenbereichen, wodurch Nutzer:innen individuell maßgeschneiderte einseitige Beziehungen aufbauen können. Anders als in klassischen Medien, die begrenzte Auswahlmöglichkeiten bieten, können Nutzer:innen genau jene Inhalte und Persönlichkeiten verfolgen, mit denen sie sich am stärksten identifizieren – was die Intensität der parasozialen Beziehungen deutlich erhöhen kann (Stever & Lawson, 2013).
Das Internet hat also sowohl die Intensität als auch die Dynamik parasozialer Beziehungen stark verändert. Digitale Medien erzeugen intensivere, vermeintlich persönlichere und emotional näher empfundene Verbindungen, als es früher in traditionellen Medien möglich war. Dadurch gewinnen parasoziale Beziehungen heute mehr denn je an Bedeutung und prägen den digitalen Alltag vieler Menschen entscheidend mit – sie bleiben aber einseitig.

Risiken von nicht reziproken Beziehungen
Parasoziale Beziehungen können, trotz ihrer weitverbreiteten Normalität, auch mit verschiedenen psychischen Risiken verbunden sein. Diese treten vor allem dann auf, wenn die Beziehungen zu intensiv oder zu einem zentralen Bestandteil des sozialen und emotionalen Lebens werden.
Emotionale Abhängigkeit und Isolation
Ein zentrales Risiko liegt in der Entwicklung einer emotionalen Abhängigkeit gegenüber Influencer:innen oder Medienfiguren. Wenn diese einseitigen Beziehungen die Rolle von realen Freundschaften und sozialen Kontakten einnehmen, kann das zu zunehmender sozialer Isolation führen. Die Konzentration auf parasoziale Beziehungen kann reale soziale Interaktionen verdrängen, wodurch wichtige zwischenmenschliche Fähigkeiten langfristig geschwächt werden können (Cohen, 2004).
Selbstwertgefühl und soziale Vergleiche
Besonders in sozialen Medien werden Inhalte häufig idealisiert dargestellt. Während in klassischen Medien klar war, dass die gezeigte Figur eine Rolle spielt, sehen Follower:innen oft nur ausgewählte, positive Momente aus dem Leben der Influencer:innen. Die Grenzen zwischen Realität und geskripteten Social Media Leben der Influencer:innen sind nicht wahrnehmbar. Das führt zu verzerrten Realitätswahrnehmungen und unrealistischen Erwartungen an das eigene Leben. Diese sozialen Vergleiche können das Selbstwertgefühl negativ beeinflussen, Stress verursachen und Gefühle von Minderwertigkeit und Frustration verstärken (Vogel et al., 2014).

Erhöhte Vulnerabilität bei psychischen Belastungen
Personen, die bereits psychisch belastet oder emotional besonders verletzlich sind, können besonders anfällig für intensive, einseitige Beziehungen im Internet sein. Gerade bei Einsamkeit, Depressionen oder Angstzuständen besteht das Risiko, dass eingebildete Beziehungen zu einer Art Ersatz für notwendige reale soziale Unterstützung werden. In diesen Fällen kann eine intensive Beschäftigung mit Influencer:innen die eigentlichen Probleme maskieren oder verschärfen, anstatt nachhaltige Lösungen zu ermöglichen (Stever & Lawson, 2013).
Diese Risiken bedeuten nicht, dass parasoziale Beziehungen grundsätzlich problematisch sind. Sie zeigen jedoch deutlich, wie wichtig ein bewusster Umgang und regelmäßige Selbstreflexion sind, um potenzielle negative Auswirkungen auf das eigene psychische Wohlbefinden frühzeitig zu erkennen.
Fazit
Parasoziale Beziehungen sind ein weitverbreitetes Phänomen, das durch soziale Medien noch stärker in den Vordergrund gerückt ist. Sie können positive Aspekte mit sich bringen, bergen jedoch auch ernst zu nehmende Risiken. Wichtig ist ein bewusster und reflektierter Umgang mit parasozialen Beziehungen. Sich regelmäßig zu hinterfragen, ob die digitale Beziehung noch ein gesundes Maß hat oder ob reale soziale Kontakte darunter leiden, kann dabei helfen, die eigene psychische Gesundheit langfristig zu schützen.
Wer bemerkt, dass die Grenzen zwischen digitaler und realer Beziehung verschwimmen oder psychische Belastungen zunehmen, sollte sich nicht alleingelassen fühlen. Es ist vollkommen in Ordnung, Hilfe zu suchen und Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Professionelle Begleitung kann dabei helfen, neue Perspektiven zu gewinnen und belastende Situationen besser zu bewältigen.
Quellen
Chung, S., & Cho, H. (2017). Fostering Parasocial Relationships with Celebrities on Social Media: Implications for Celebrity Endorsement. Psychology & Marketing, 34(4), 481–495.
Cohen, J. (2003). Parasocial Breakups: Measuring Individual Differences in Responses to the Dissolution of Parasocial Relationships. Mass Communication & Society, 6(2), 191–202.
Cohen, J. (2004). Parasocial Break-Up from Favorite Television Characters: The Role of Attachment Styles and Relationship Intensity. Journal of Social and Personal Relationships, 21(2), 187–202.
Dibble, J. L., Hartmann, T., & Rosaen, S. F. (2016). Parasocial Interaction and Parasocial Relationship: Conceptual Clarification and a Critical Assessment of Measures. Human Communication Research, 42(1), 21–44.
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Labrecque, L. I. (2014). Fostering Consumer–Brand Relationships in Social Media Environments: The Role of Parasocial Interaction. Journal of Interactive Marketing, 28(2), 134–148.
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Vogel, E. A., Rose, J. P., Roberts, L. R., & Eckles, K. (2014). Social Comparison, Social Media, and Self-Esteem. Psychology of Popular Media Culture, 3(4), 206–222.