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Resilienz – was uns psychisch stark macht
Manchmal reicht ein Blick aufs Handy und schon fühlt sich alles zu viel an. Die Nachricht vom verspäteten Zug. Eine unzufriedene E-Mail des Chefs. Der Streit von gestern, der noch im Kopf nachhallt. Und dann kommt der Gedanke: „Wie soll ich das alles schaffen?“. Andere Tage laufen ähnlich, aber sie bringen uns nicht so schnell aus dem Gleichgewicht. Wir reagieren ruhiger, denken klarer, lachen sogar über das, was uns gestern noch gestresst hat. Was ist da anders? Der Unterschied liegt in der Resilienz, der psychischen Kraft, die uns befähigt, schwierige Situationen zu bewältigen, ohne daran zu zerbrechen. Manche nennen sie auch „psychische Widerstandsfähigkeit“. Klingt groß, ist aber oft klein: ein Gedanke, der tröstet. Ein Mensch, der zuhört. Eine Entscheidung, weiterzumachen. Was genau hinter dem Begriff steckt und warum „Widerstandsfähigkeit“ nicht immer das Richtige trifft, zeigt dieser Beitrag. Klar ist: Resilienz betrifft uns alle. Und wir können unsere Resilienz stärken.

Definition – was bedeutet Resilienz?
Woher kommt das Wort Resilienz?
Der Begriff Resilienz stammt ursprünglich aus der Physik, genauer gesagt aus der Werkstoffkunde. Er lässt sich vom lateinischen resilire ableiten, das so viel wie zurückspringen oder abprallen bedeutet (Thun-Hohenstein et al., 2020). In der Werkstoffkunde beschreibt Resilienz die Fähigkeit eines Materials, sich nach einer Verformung, zum Beispiel durch Druck, wieder in seinen Ursprungszustand zurückzubilden, ohne dauerhaften Schaden zu nehmen (Schlenger, 2022).
Diese bildhafte Vorstellung fand sich später Eingang in zahlreiche andere Disziplinen wieder: unter anderem in die Ökologie, das Ingenieurwesen, die Medizin oder die Soziologie. Überall dort, wo es darum geht, flexibel und anpassungsfähig auf äußere Einflüsse zu reagieren, wurde der Begriff Resilienz übernommen (Thun-Hohenstein et al., 2020 & Lexikon der Entwicklungspolitik, o.D.).
Auch in der Psychologie wurde das Konzept der Resilienz aufgegriffen und auf die seelische Widerstandsfähigkeit des Menschen angewendet. Das dahinterliegende Prinzip bleibt im Kern ähnlich: So wie sich ein Material nach einer Verformung wieder in seine ursprüngliche Form zurückbewegt, können auch Menschen lernen, sich nach Schicksalsschlägen und Krisen wieder aufzurichten und zu stabilisieren (Krol, 2018).
Bedeutung von Resilienz in der Psychologie
Konkret beschreibt Resilienz die Fähigkeit, mit belastenden Situationen umzugehen und sich an herausfordernde Lebensbedingungen anzupassen (Petermann & Resch, 2013). Ob Stress im Job, persönliche Lebenskrisen, seelische Traumata, unerwartete Veränderungen oder Krankheiten – resiliente Menschen finden Wege, trotz allem handlungsfähig zu bleiben und nach Rückschlägen wieder Fuß zu fassen.
Dabei geht es nicht darum, unerschütterlich oder gänzlich unverwundbar zu sein. Die Formulierung „psychische Widerstandsfähigkeit“ etwa kann leicht den Eindruck erwecken, man müsse alles klaglos aushalten. Doch auch resiliente Menschen erleben Zweifel, Rückschläge oder emotionale Tiefpunkte wie alle anderen. Entscheidend ist aber, wie diese Personen damit umgehen: Sie können sich anpassen, neue Perspektiven entwickeln und mit der Zeit wieder aufstehen (Palmiter et al., 2012).
Die Resilienz kann mit der Metapher des Stehaufmännchens am genauesten beschrieben werden: Es wird umgestoßen, gerät aus dem Gleichgewicht, aber findet immer wieder zurück in eine aufrechte Position (Schlenger, 2022). Resilienz schützt uns Menschen demnach nicht vor Schmerz oder Stress, aber sie hilft, daran, nicht dauerhaft kaputtzugehen.
Wichtig ist: Resilienz ist keine feste Eigenschaft. Sie entwickelt sich im Laufe des Lebens und kann aktiv gestärkt werden, durch Erfahrungen, Beziehungen, innere Haltungen und konkrete Strategien im Umgang mit Belastungen (Berndt, 2013).

Warum ist Resilienz besonders heute wichtig?
Krisen und belastende Ereignisse gehören zum Leben dazu. In den vergangenen Jahren ist deutlich spürbar geworden, wie schnell und tiefgreifend sich unser Alltag verändern kann: Eine Pandemie, die das öffentliche Leben lahmlegt, die Klimakrise, Teuerung, gesellschaftliche Umbrüche; und gleichzeitig: ständige Erreichbarkeit, hohe Erwartungen, wenig Pausen.
Die Art des Stresses hat sich verändert. Während frühere Belastungen oft physischer Natur waren, wie körperliche Arbeit oder existenzielle Nöte, steht heute primär die psychische Dauerbeanspruchung im Vordergrund. Wir erleben weniger einzelne Extremereignisse, dafür aber ein konstantes Grundrauschen aus Informationsflut, Leistungsdruck, Unsicherheit und emotionaler Überforderung.
Das zeigt sich auch in Zahlen: Die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen sind von 2013 bis 2023 um 52% gestiegen (Alvarez, 2024). Gerade in unsicheren Zeiten wird die Resilienzförderung wichtiger denn je. Sie unterstützt uns dabei, Krisen zu bewältigen, klar zu denken und innerlich wieder ins Gleichgewicht zu kommen.

Ist Resilienz angeboren oder veränderbar?
Resilienz ist zu einem gewissen Grad biologisch mitbedingt. Studien zeigen, dass bestimmte genetische Anlagen die Fähigkeit zur Stressverarbeitung beeinflussen, etwa wie empfindlich jemand auf Belastungen reagiert oder wie gut das Gehirn in der Lage ist, Stresshormone zu regulieren. Auch frühkindliche Erfahrungen und neurobiologische Faktoren können die individuelle Belastbarkeit mitprägen (Wolf, 2020 & Wu et al., 2013). Doch ebenso klar ist: Gene sind nicht alles. Das zeigte Emmy Werner in ihrer bekannten Studie zur Resilienz.
Emmy Werner - eine Pionierin in der Resilienzforschung
Bereits in den 1950er-Jahren legte die US-amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner mit ihrer berühmten Langzeitstudie den Grundstein für die Resilienzforschung. Auf der hawaiianischen Insel Kauai begleitete sie über 40 Jahre hinweg rund 700 Kinder, viele davon wuchsen unter schwierigen Bedingungen auf.
Das Ergebnis: Etwa ein Drittel dieser Kinder entwickelte sich trotz aller Widrigkeiten zu stabilen, psychisch gesunden Erwachsenen. Werner stellte fest, dass diese „resilienten Kinder“ über bestimmte Schutzfaktoren verfügten, wie unterstützende Bezugspersonen, eine realistische Selbsteinschätzung und ein positives Selbstbild.
Sie zeigte damit: Resilienz ist nicht angeboren, sondern sie ist ein dynamischer Prozess, der durch Umwelt, Lebenserfahrungen und persönliche Kompetenzen gefördert werden kann (Wiegand-Grefe, 2013).
Wie gut Menschen mit Krisen und Rückschlägen umgehen können, hängt auch von ganz konkreten Fähigkeiten und Ressourcen ab, etwa von bestimmten Denk- und Verhaltensmustern, stabilen Beziehungen oder inneren Haltungen. Viele dieser sogenannten Resilienzfaktoren lassen sich gezielt stärken und fördern. Deshalb spricht man auch von verschiedenen „Bausteinen der Resilienz“, die zusammenwirken, um psychische Stabilität zu erhalten oder wiederherzustellen.
Resilienz stärken – Diese 7 Faktoren zeichnen resiliente Menschen aus
Die Forschung kennt heute zahlreiche Modelle, die beschreiben, welche Faktoren zur Resilienz beitragen und diese stärken können. Einige davon, wie der Resilienz-Zirkel® oder die sieben Säulen der Resilienz, unterscheiden sich in der Anzahl und Gewichtung der Bausteine. Doch auch wenn die Ansätze variieren, gibt es immer wiederkehrende Kernfaktoren, auf die sich viele Konzepte stützen (Mauritz, 2020).
Im Folgenden werfen wir einen Blick auf sieben zentrale Bausteine, die in der Praxis besonders relevant sind, um die Widerstandsfähigkeit zu stärken:
1. Akzeptanz: Die Fähigkeit, Realität anzuerkennen, auch wenn sie unangenehm ist.
2. Selbstwirksamkeit: Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Herausforderungen bewältigen zu können.
3. Optimismus: Der Glaube daran, dass es wieder besser wird, und das, ohne naiv zu sein.
4. Lösungsorientierung: Der Fokus darauf, was jetzt konkret getan werden kann, um Lösungen zu finden, statt im Problem zu verharren.
5. Selbstreflexion: Die Bereitschaft, sich selbst zu hinterfragen und aus Erfahrungen zu lernen.
6. Soziales Netzwerk: Verlässliche Beziehungen als emotionale Stütze und Rückhalt, aus denen man Kraft schöpfen kann.
7. Zukunftsorientierung: Das Gefühl, einen Sinn zu sehen und eine Richtung im Leben zu haben.
(Mauritz, 2020 & Berndt, 2013 & Wu et al., 2013 & Rönnau-Böse et al., 2022)

Resilienz als erlernbare Strategie – wie du im Alltag deine Resilienz stärken kannst
Du möchtest deine Resilienz stärken? Mit etwas Übung und Geduld kannst du deine psychische Widerstandskraft im Alltag trainieren. Mit diesen acht Tipps kannst auch du resilienter werden, denn Resilienz ist kein statisches Persönlichkeitsmerkmal, welches nur durch Gene beeinflusst wird, sondern eine entwickelbare Fähigkeit. Die American Psychological Association (2012) betont, dass Resilienz aus Verhaltensweisen, Denkweisen und inneren Haltungen besteht, die sich lernen und kultivieren lassen.

Tipp 1: Pflege deine tragfähigen Beziehungen
Verlässliche soziale Bindungen geben Menschen Halt, egal ob Familie, Freund:innen, Kolleg:innen oder andere Gemeinschaften. Personen, die sich unterstützt fühlen, verarbeiten Stress besser. Und: Es geht nicht nur ums Empfangen, sondern auch ums aktive Geben, Zuhören und Dasein.
Tipp 2: Sieh Krisen nicht als Endpunkt
Schwierige Phasen gehören zum Leben. Wer sich bewusst macht, dass sie vorübergehen und es schon frühere Herausforderungen gab, die man überstanden hat, bleibt handlungsfähiger. Resilienz heißt nicht, alles im Griff zu haben, sondern den Überblick zu behalten und sich Lösungen zu überlegen.
Tipp 3: Übe Akzeptanz, wo du nichts ändern kannst
Manches liegt außerhalb unserer Kontrolle. Statt Energie im inneren Widerstand zu verlieren, hilft es, einen klaren Blick auf das Gegebene zu entwickeln und zu überlegen, was innerhalb der eigenen Einflusszone liegt. Akzeptanz ist kein Aufgeben, sondern aktives Annehmen.
Tipp 4: Setz dir erreichbare Ziele
Struktur hilft gegen das Gefühl von Überforderung. Kleine, realistische Schritte geben Richtung und fördern Selbstwirksamkeit und Selbstbewusstsein. Auch Zwischenziele und das bewusste Feiern von Fortschritt stärken das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit.
Tipp 5: Werde selbst in kleinen Dingen aktiv
Schon einfache Entscheidungen können das Gefühl von Kontrolle vermitteln. Ins Tun zu kommen, ist oft der erste Schritt, um sich nicht mehr wie Spielball der Umstände zu fühlen.
Tipp 6: Übe Achtsamkeit
Reflexion ist eine unterschätzte Kraftquelle. Wer die eigenen Bedürfnisse, Reaktionen und Muster kennt, kann bewusster reagieren und mit der Zeit gezielter gegensteuern. Hilfreich sind unter anderem ein Tagebuch, ehrliche Gespräche oder achtsames Innehalten.
Tipp 7: Sorge gut für dich, sowohl körperlich als auch seelisch
Genügend Schlaf, Bewegung, Pausen und gute Ernährung sind die Grundlage für psychische Belastbarkeit und Stärkung. Wer gut auf sich achtet, hat mehr Reserven, sowohl für sich selbst als auch für andere.
Tipp 8: Bewahre dir Hoffnung und Weitblick
Optimismus bedeutet nicht, alles rosarot zu sehen. Aber der Glaube daran, dass sich Dinge verändern und verbessern können, schafft innere Zuversicht. Gerade in schwierigen Zeiten lohnt es sich, auf positive Perspektiven zu achten und sie bewusst zu pflegen.
(Palmiter, 2012; 2020)

Fazit – gemeinsam unsere Resilienz stärken
Auch wenn der Blick auf das Handy einen im ersten Moment zu überfordern scheint, kann man dem mit den richtigen Strategien entgegenwirken. Genau dort zeigt sich Resilienz: in der Art, wie wir auf kleine und große Herausforderungen reagieren. Nicht als Superkraft, sondern als innere Haltung, die uns hilft, nicht den Halt zu verlieren. Resilienz heißt nicht, unverwundbar zu sein. Es bedeutet vielmehr, aus Rückschlägen aufzustehen, an Krisen zu wachsen, neue Wege zu suchen und sich dabei selbst nicht aus den Augen zu verlieren. Das Gute daran: Resilienz ist nicht angeboren, sie ist erlernbar. Jeder Mensch kann sie im Laufe des Lebens entwickeln und stärken, durch Beziehungen und gute Freunde, durch bewusste Entscheidungen im Alltag, durch Achtsamkeit und Selbstfürsorge. Vor allem aber entsteht Resilienz aus der Erkenntnis, dass es völlig in Ordnung ist, nicht immer stark zu sein, denn gerade in diesen Momenten eröffnen sich Möglichkeiten, neue Perspektiven zu gewinnen und innerlich zu wachsen.
Quellen
Alvarez, C. (2024). Resilienz: Wie widerstandsfähig wollen wir sein? ARD Alpha. https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/resilienz-stress-bewaeltigung-krisen-100.html
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Berndt, C. (2013). Resilienz. Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft. Deutscher Taschenbuch Verlag.
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Krol, B. (2018). Psychologie: Resilienz. planet wissen. https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/psychologie/resilienz/index.html
Mauritz, S. (2020). Die sieben Säulen der Resilienz. Resilienz Akademie. https://www.resilienz-akademie.com/abc-der-resilienz/sieben-saeulen-der-resilienz/
Mauritz, S. (2020). Resilienzmodelle im Vergleich. Resilienz Akademie. https://www.resilienz-akademie.com/resilienz-allgemein/resilienzmodelle-im-vergleich/
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Petermann, F. & Resch, F. (2013). Entwicklungspsychopathologie. In F. Petermann (Hrsg.), Lehrbuch der klinischen Kinderpsychologie (7. Auflage, 57-74).
Rönnau-Böse, M., Fröhlich-Gildhoff, K., Bengel, J. & Lyssenko, L. (2022). Resilienz und Schutzfaktoren. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden. https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i101-2.0
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Tillmans, J. (2025). Resilienz stärken: Zukunftsangst und Krisenzeiten überwinden. NDR. https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Resilienz-staerken-Zukunftsangst-und-Krisenzeiten-ueberwinden,mentalhealth108.html
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